Georgien: Tag 4 - Borjomi - Tskhaltubo - Mestia
- Taunustörtchen

- 7. Okt. 2020
- 4 Min. Lesezeit

Unser heutiger Reisetag führt uns von Borjomi über den alten Kurort Tskhaltubo in das Obere Swanetien nach Mestia. Die reine Fahrtzeit wird bei 7 - 8 Stunden liegen, daher schauen wir uns heute vor allem Tskhaltubo an.

Tskhaltubo
Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Tskhaltubo einer der wichtigsten Kurorte Georgiens. Heute hat der Ort etwa 11.000 Einwohner, aber die meisten der einst wunderschönen Gebäude verfallen seit Jahren. Tskhaltubo hat leicht radioaktive Thermalquellen, die vor allem bei Rheumatismus und Gelenkbeschwerden eingesetzt wurden. Während der Zarenzeit entstand dadurch ein mondäner Kurort, in dem sich die adelige Oberschicht für diverse Behandlungen einfand. Die adelige Oberschicht blieb gerne unter sich und erst während der Sowjetzeit sollten die Anlagen auch für Arbeiter offen sein. Doch am Ende residierte hier auch nur die privilegierte Politik Oberschicht. Es wurden weitere Sanatorien, Theater und Kinos gebaut und auch Stalin verbrachte seinen Kururlaub in Tskhaltubo. In den Hochzeiten der Sowjetunion wurden 13 Millionen Menschen jedes Jahr in Tskhaltubo behandelt. Unser erster Stop war das Sommerhaus von Stalin [Bilder: unten], das etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt. Leider ist es mittlerweile sehr verfallen und es gibt nicht mehr viel zu sehen. Das Haus liegt mitten im Grünen und ist von keiner Straß einsehbar. Man selber hat einen schönen Blick Richtung Tskhaltubo. Eine nette ältere Dame aus dem Ort kannte die alten Geschichten und begleitete uns heute durch unsere Reise durch die Zeit.

Der Abchasien Krieg dauerte knapp ein Jahr und endete im September 1993. Viele Georgier wurden aus ihrer Heimat Abchasien vertrieben und in Tskhaltubo wurden etwa 10.000 der 250.000 Flüchtlinge untergebracht. Durch die Flucht verloren diese Menschen ihr komplettes Hab und Gut. Durch die wirtschaftliche Lage Georgiens in den folgenden Jahren war es vielen Flüchtlingen nicht möglich ihre finanzielle Situation zu ändern. Da der Tourismus weiter vollständig am Boden lag und die russischen Touristen durch den Konflikt fern blieben, konnten die Flüchtlinge weiter in den Hotels wohnen. Aber das war nicht das einzige, denn die Kuranlagen wurden für den Anbau von Gemüse oder als Vieh Weide genutzt. Das Inventar vieler Hotels wurde zum Heizen gebraucht und so verfielen die einstigen Prachtbauten von Jahr zu Jahr. Viele der Hotels sind noch heute durch Flüchtlinge bewohnt und eine Renovierung scheint in weiter Ferne. Über 30 ehemaligen Sanatorien liegen um den Kurpark herum verstreut.

Heute wird nur noch das Tskhaltubo SPA Resort (Link), das noch aus Sowjetzeit stammt und dem Verteidigungsministerium gehört, als Hotel genutzt. Es ist nie durch Flüchtlinge besetzt worden, da hier paramilitärische Einheiten stationiert waren. Heutzutage wirkt es wie eine abgeschottete Festung, die sich ganz klar vom Umfeld abgrenzen möchte. Obwohl in vielen anderen Hotels Flüchtlinge untergebracht waren, wurden diese von internationalen Investoren und Spekulanten gekauft und wieder verkauft, da sich der Tourismus in Georgien nicht so schnell entwickelte, wie es mancher Investor gewünscht hätte. Noch heute schafft es der Staat nicht, die Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zu bewältigen. 2008 folgte der Konflikt mit Südossetien, der die Lage weiter verschärfte und zu weiteren Flüchtlingsströmen führte.

Georgien wurde in den 2000er Jahren immer mehr ein Verbündeter der westlichen Welt und ausländisches Kapital floss in das Land. Georgien wurde plötzlich auch für nicht-Russen als Reiseland interessant und die ersten Abenteurer und Rucksack Touristen begannen durch das Land zu reisen. Die Faszination die von diesen Gebäuden ausgeht wurde in die Welt getragen und die Verbreitung der Fotografien im Internet führte dazu, dass immer mehr Menschen Interesse an Georgien, aber auch an dem morbiden Charme von Tskhaltubo bekamen.

Dem georgischen Staat ist es nach fast 30 Jahren immer noch nicht gelungen, alle Flüchtlinge in anderen Wohnraum umzusiedeln. Viele der neu errichteten Wohnungen befinden sich noch im Rohbau und die abchasischen Flüchtlinge sind finanziell nicht in der Lage, ihre zugewiesene Wohnung auf eigene Kosten weiter auszubauen. Das Sanatorium Medea [Bilder: unten] gehört sicher zu einen der spektakulärsten Gebäuden in Tskhaltubo. Die opulente Front mit den großen Säulen ist einfach wunderschön. Mittlerweile haben schon viele andere das Bauwerk abgelichtet und es kommen häufig Touristen, aber auch Einheimische vorbei, um Fotos zu machen. Als wir dort waren, kam ein Brautpaar, um Hochzeitsfotos auf dem Balkon zu machen und kühle Getränke werden jetzt auch vor dem Gebäude zum Kauf angeboten. Es scheint sich zu lohnen.

Wer zu Sowjetzeiten nicht zur höheren politischen Elite gehörte, aber das Heilwasser in Tskhaltubo nutzen wollte, konnte dies in diesen öffentlichen Badehäusern machen [Bild: unten]. Mittlerweile holt sich die Natur einen Teil zurück und von den einstigen Armaturen ist nichts mehr vorhanden

Wer mehr Bilder über Tskhaltubos Lost Places sehen möchte, dem sei der Fotograf James Kerwin ans Herz gelegt. Auf YouTube hat er ein schönes Video hochgeladen, indem er auch viel über die Atmosphäre in Tskhaltubo und den Lost Places erzählt.
Diese sind nämlich das Zuhause von vielen Menschen, das sollte man immer bedenken, wenn man einen solchen Ort betritt. Er ist nämlich nicht "Lost". Uns sind die Menschen sehr freundlich begegnet und wir wurden zum Tee eingeladen. Obwohl diese Menschen nicht viel haben, so sind sie unglaublich gastfreundlich. Das man sie trotz ihrer Lage mit Respekt behandelt und nicht ungefragt in ihr Zuhause eindringt, versteht sich von selbst. Viele der Wohnungen haben keine Türen, die Wäsche hängt offen an den Balkonen. Schnell wird man ein Teil und bleibt doch immer ein Fremdkörper. Erstaunlich fand ich es, wie gut die junge Generation englisch gesprochen hat. Viele waren sehr gut informiert und hatten großes Interesse und die Gespräche werden immer in eindrucksvoller Erinnerung bleiben. Diese Menschen versuchen das Beste aus der Situation zu machen und man kann nur offen, dass sich die Umstände irgendwann bessern werden. Als wir am Abend wieder in unserem Reisebus saßen, konnte man eine gewisse Dankbarkeit spüren. Wir würden heute Nacht wieder in einem warmen und sauberen Hotel schlafen. Das umfangreiche Abendessen war auch schon geplant. In dem Moment gab es keine Probleme oder Sorgen für uns und dies wurde einem mal richtig bewusst.







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